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  • sarahraich

Das wird alles verbrannt


„Der Haufen da, das muss alles noch weg. Am besten holst du dir eine Schubkarre, nimm mal die Rosane, die mit dem Riss, die ist hinten bei der Scheune. Die Scheren, die da drin liegen, die packst du einfach im Wintergarten unter die Kommode, da sind schon mehr davon.“

Sie stapfte über die Terrasse, wich Blumentöpfen aus und aufgewickelten Schläuchen, machte einen großen Schritt, um ein elektrisches Gerät mit mehreren Kabeln und Schläuchen zu überwinden. Sie bückte sich nicht mehr nach den Dingen, die dort lagen. „Du bringst mir die Ordnung durcheinander“, schnarrte er sonst.

Die Schubkarre stand genau da, wie beschrieben, im ausgeblichenen Plastik der Riss und auch die Scheren lagen darin. Nur waren sie sehr viel größer als sie sich vorgestellt hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie an einen Haufen niedlicher Bastelscheren gedacht, die Griffe in unterschiedlichen Bonbonfarben, zusammengewürfelt in einem lustigen Miteinander.

Tatsächlich lagen da mehrere riesige Astscheren vor ihr, länger als ihr Arm, außerdem eine Machete, zwei Sicheln und eine Axt. Es würde schwer werden, all diese Klingen unter einer Kommode verschwinden zu lassen.

Sie packte sie bei den Griffen, ging zum Wintergarten und schob sie nacheinander unter die Kommode, wo auch schon andere Scheren lagen. Schließlich ragten an allen Enden Griffe und Klingen unter dem Möbel hervor, aber nichts ließ sich mehr bewegen, die Werkzeuge waren vollkommen ineinander verkeilt. Sie würde sich später darum kümmern.

Sie ging zurück zur Schubkarre und dachte an die Burg hinter ihr, die im weit nach oben auslaufenden Tal stand, eckig und schwer und sich doch irgendwie in den Himmel reckend.

Natürlich wusste sie schon lange, dass es ein Bauernhof war, nein, sie hatte es schon immer gewusst, denn sie hatte den Bauern ja oft besucht, die Hühner in seinem Hof gefüttert, den uralten Traktor bestaunt und den Ofen in der Küche, der noch mit Feuer befeuert wurde und heiße Hexe hieß. Und doch war es zugleich eine Burg gewesen, auch wenn ein Bauer darin wohnte und ja, auch jetzt war das noch so. Manche Dinge ändern sich nie. Manche Bauernhöfe sind Burgen.

Sie nahm die rosafarbene Schubkarre und schob sie ums Haus herum, belud das Gefährt mit alten Zweigen und vertrocknetem Pflanzenschnitt.

„Was jetzt?“

„Da rüber“, sein Finger wanderte weg vom Haus, dorthin wo das Wäldchen anfing. Dort türmten sich schon andere Äste und Zweige meterhoch in den Himmel. „Das wird alles verbrannt.“



Sie hatte sich einen romantischen Sonnenuntergang zum Abschluss des Tages vorgestellt, aber stattdessen lief der Himmel voller grauer, hoch hängender Wolken und wurde am falschen Ende dunkel, sie hatte das alles ganz anders in Erinnerung. Der Himmel musste sich doch mit Farben füllen, bis er überlief und die Sonne am Ende des Tales langsam zwischen den Schatten der Bäume verging. Und Oma Zwickert müsste an der Böschung ihres Stückchen Landes stehen, für einen Moment der dramatischen Sonne zuschauen, ihr Märchenhexenkinn in die Höhe gereckt, das letzte Licht in den Augen funkelnd, um sich dann ihr zuzuwenden und zu sagen: „Du weißt nicht wie man Säcke stopft? Dann will ich dich das man zeigen. Aber zuhören musste richtig, sonst lernste nichts.“ Und bevor sie nach Hause ging, würde sie bei Tante Irene ein bisschen Traumschiff gucken und ein paar Himbeerbonbons bekommen, die roten, harten mit den Hubbeln darauf.

Aber Oma Zwickert stand da nicht mehr, schon so viele Jahre nicht, Tante Irene hatte ihren letzten Bonbon schon vor langer Zeit verteilt und der Himmel war grau, die Sonne unsichtbar. Denn so war das wohl. Nichts blieb, wie es einmal war. Alle starben und ob sie bis dahin glücklich gewesen waren, ließ sich wirklich schwer sagen.

Sie dachte daran, hinaufzugehen, dort wo die Frau ohne Namen gewohnt hatte. Natürlich hatte die Frau einen Namen gehabt, aber damals war sie so alt gewesen, dass sie erhaben schien über solche banalen Dinge wie Namen und Jahreszahlen. Sie war. Das reichte.

Die alte Frau hatte sich in ihrem riesigen Haus in die Küche zurückgezogen und hatte die restlichen Räume den Spinnenweben und Sonnenstrahlen überlassen. Sie hatte nicht immer Besuch empfangen, aber manchmal doch und manchmal hatte sie dort hineingedurft, in die verlorenen Zimmer, die sonst niemand mehr betrat und unter ihren vorsichtigen bloßen Füßen knirschten die Körper toter Fliegen, sie konnte fühlen, wie die Flügel unter ihrem Gewicht nachgaben, in der Luft glitzerte der Staub und sie hatte gewusst, die alte Frau war eine Feenkönigin. Und deshalb ging sie auch nicht die steile Straße hinauf, denn sie wollte nicht mehr wissen, wie die Geschichte ausgegangen war. Stattdessen sah sie dem grauer werdenden Himmel zu, wie er sich immer mehr verdunkelte, bis er schließlich fast schwarz war und das Käuzchen schrie, wie es schon immer und jeden Abend schrie und vermutlich bis in alle Ewigkeiten tun würde. Jedenfalls schrie es noch immer, als sie das Licht löschte und die Decke fester um sich zog.



Sie fuhr in einem Wohnmobil, die Fenster alle aufgerissen, sie brauchte den Fahrtwind, denn es war heiß, viel zu heiß, aber das war vollkommen normal, denn hinter ihr brannte es, die ganze Welt stand in Flammen. Sie hatte den Fuß auf dem Gas, spürte, wie das Pedal den Boden berührte und verliebte sich in den unüberwindbaren Widerstand unter sich. Ein von Blech umgrenzter Raum.

Die Tachonadel kratzte zitternd am Ende der Skala und sie spürte ein Kitzeln im Bauch, von dem sie nicht wusste, war es Euphorie oder die blanke Panik. Sie konnte das Feuer riechen, das hinter ihr die Welt verschlang.

Nun war sie schon so lange gefahren, immer auf der Flucht vor den Flammen, sie konnte spüren, wie sich der Erdball unter den Rädern krümmte, so viel war sie darauf gefahren, ja, und gleich würde es so weit sein, sie würde einmal um die ganze Erdkugel herumgefahren sein, dort, wo das Feuer schon alles verschlungen hate – und dann würde die Asche kommen, sie würde durch eine verbrannte Welt fahren, die Asche würde, von den Rädern aufgewirbelt, zu ihr in die Fenster fliegen, bis alles von einem schwarzen Film überzogen war und hinter ihr die Flammen. Natürlich wusste sie dass sie träumte, aber wie die Wirklichkeit aussah, daran konnte sie sich gerade auch nicht erinnern, und vielleicht war das, was sie sah, alles was blieb.

Sie konnte das Knistern der Flammen hinter sich hören, das Rascheln der Asche vor sich, unter ihr jaulte der Motor.

Sie schaute aus dem Fenster, sah zu, wie die Sonne durch die Bäume brach, glitzernd und freundlich, ein Windhauch bauschte die Vorhänge, die nun an allen Fenstern des Wohnmobils hingen und ein Vogel flog singend hindurch.

Und vielleicht würde sie verbrennen, vielleicht würde sie ertrinken in all dem Staub. Aber jetzt, jetzt schien die Sonne. Der Wind wehte, die Bäume warfen tanzende Schatten auf die Vorhänge und sie konnte den Bauern in seiner Burg sehen, die alte Frau fügte lächelnd die zerbrochenen Flügel der toten Fliegen zusammen, auf der Böschung saß Oma Zwickert und stopfte und daneben reichte Tante Irene, auf einem weißen Plastikstuhl sitzend, Himbeerbonbons.

Sie schob sich eines in den Mund und ließ die Zunge über die hubbelige Oberfläche gleiten. Die Süße explodierte in ihrem Kopf in tausend leuchtenden Sonnen.

Vielleicht wird alles verbrannt, vielleicht steht die Welt in Flammen, aber jetzt ist alles hier, ich bin noch hier und sie trat das Gaspedal durch, bis es auf dem Asphalt Funken schlug.

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